Noch sieben Wochen, dann ist Weihnachten und die Zeit für große Gefühle in der Werbung scheint bereits gekommen zu sein. Die Elektromarktkette Saturn, in Kooperation mit der Werbeagentur Jung von Matt, legen schon mal vor.
“Was er sieht, verändert seine Welt”, so lautet die Video-Beschreibung unter dem Werbespot auf dem YouTube Kanal von Saturn Deutschland.
Ein Werbefilm für Virtual-Reality (VR) Brillen, der (be)rühren soll, der eine Geschichte erzählt, der ganz ohne Worte auskommt und schon nach zwei Tagen mehr als 1,3 Mio. Klicks erreicht hat. Ein Film über Hirnforschung oder doch “nur” Werbung? Bewegtbild, das bewegt und nicht die Technik, sondern den Menschen in den Vordergrund stellt? Was steckt hinter diesem viralen Clip, der die Meinungen so sehr spaltet?
“Anna” ist eine Episode aus der Spot-Reihe “Du kannst mehr”. Und darum geht’s:
Ein alter, offensichtlich an Demenz erkrankter Mann in einem Pflegeheim, wird von seiner Tochter Anna besucht. Der Vater erkennt seine Tochter nicht mehr. Emotional berührt und unendlich traurig fasst Anna unter Tränen einen Entschluss. Sie besorgt ihrem Vater eine Virtual-Reality-Brille. Sie setzt ihm die Brille auf und zeigt ihm Bilder, Erinnerungen ihrer Kindheit. Die Bilder und Szenen aus vergangenen Tagen lassen die Erinnerungen des Vaters wieder zurückkehren. Der Vater erkennt Anna und nennt sie bei ihrem Namen.
Das Gehirn liebt Geschichten
Nicht nur in der Werbung, sondern auch im Bereich der Neurowissenschaften weiß man heute — das Gehirn liebt Geschichten. Eine Geschichte erzeugt Assoziationen und aktiviert Marker im Gedächtnis. So entstehen Relationen zu bereits erlebten Situationen, welche einen emotionalen Wert hatten. Geschichten kombinieren Ereignisse. Emotionale Situationen, welche so stark waren, dass ein Marker, ein Somatischer Marker im Unterbewussten gesetzt wurde, sind im Verborgenen und können in einem bestimmten Umfang wieder reaktiviert werden. Aus neuropsychologischer Sicht ist Anna’s Methode, ihrem Vater Erinnerungen zu schenken durchaus effektiv.
Produkte werden im Umfeld hirngerechter Werbung längst nicht mehr explizit beworben. Das kann jeder. Geschichten erzählen. Ohne Worte. Das ist die Königsdisziplin. Hier werden alle Register der hirngerechten Kommunikation gezogen. Die szenische Auflösung ist geschickt umgesetzt. Filmtechnisch gibt es nichts zu bemägeln.
Fazit
Diese Art der Werbung wirkt. Ohne Frage. Aber ist der Werbeclip nur emotional oder sogar unmoralisch? Wie weit darf Werbung gehen? Wir befinden uns hier auf dünnem Eis im Kontext des Neuromarketing. Demenz, Alzheimer, Schizophrenie etc. sind Krankheiten, die zweifelsohne wirklich grausam sind — für die Betroffenen sowie für die Angehörigen. Unsere Emotionsinstruktion der Fürsorge, Bindung und des Mitgefühls, lässt es zu, dass uns diese Werbeform emotionalisiert. Auch wenn wir mit diesen schweren Krankheiten nicht direkt konfrontiert werden oder damit in der Vergangenheit Kontakt hatten.
Werbung auch oder vor allem im Sinne des Neuromarketing sollte sich stets an gewisse ethische und moralische Grundregeln halten. Geschichten über Liebe, Verlust o.ä. bieten eine gute Möglichkeit, Menschen aller psychographischen Zielgruppensegmente zu erreichen. Krankheiten wie Demenz sollten jedoch nicht zu Werbezwecken missbraucht werden — das verlangt die Moral zur Wahrung der Menschenwürde.